Rigobert Dittmann über Oona Kastner Solo Vol. 1
OONA Cohen Young Radiohead (Poise edition 26)
Hinter diesem „Live Solo Vol. 1“-Mitschnitt steckt nicht niemand, denn schließlich hat Oona Kastner bei d.o.o.r Dirk Raulf zum Partner und als Pavoon Pavel Fajt. (…)
Ihr erstes Soloalbum basiert auf der Konzertreihe „Die Songpoesie meiner Helden“ in ihrem kleinen Musikatelier im Artcenter Bielefeld, bei der sie drei Songs von Leonard Cohen anstimmte, vier von Neil Young und wieder drei von Radiohead. Gleich bei ihrem pathetisch gedehnten ‚Avalanche‘ verkehrt sie meinen pädophoben Vorbehalt mit dunklem Timbre bei nur noch gezielten Aufschwüngen in schwindelerregende Höhen in fasziniertes Staunen.
Denn ganz erstaunlich ist auch ihre rein elektronische und denkbar sparsame Einkleidung in Drones und ganz wenige Beats. Die wie fast schon nicht mehr von dieser Welt gehauchte, zartbitter geklagte 13-Min.-Version von Cohens ‚Love Calls You by Your Name‘ begleitet sie nicht weniger eigenwillig mit nur ganz wenigen monotonen Pianonoten. Und was soll ich erst über ihr in Mondlicht getauchtes ‚Hallelujah‘ sagen? Nur zu wummerndem Pianodraht und einigen verschleierten Klängen träumt sie diese Amour fou und schmachtet ihre Hingabe an den Lord of Song mit nothing on my tonge but… bis zu einer Selbstauflösung, die ihr auch noch das Hallelujah verbietet.
‚Walk with Me‘ zeigt sie zu raunenden Keys und mulmigem Beat gespalten in eine fordernd Aufschreiende und eine dämonisch Flüsternde. Gefolgt vom diabolischen Lobgesang auf the pesticide und the poison tide und die patented seeds und poisoned crops des Agrarmolochs in ‚Monsanto Years‘. Wird da schon Mother Nature verhöhnt und enteignet, verstärkt das nur gewisperte ‚Mother Earth‘ noch die Düsternis. Denn Mutter Erde wird durch die Gier verfinstert, mit der das Heute verramscht und auf die Zukunft geschissen wird. Oona setzt die bittere Prophetie fort, indem sie das Freedom Land in Youngs ‚Angry World‘ plangerecht zur Hölle fahren lässt.
Der unbändige Geist aus der Flasche in Radioheads ‚The Gloaming‘ fügt sich daran an, als käme das aus der gleichen Hand, dem gleichen Mund. ‚I Will‘ zeigt sie atomverbunkert unter der Erde, aus der wohl bald Atompilze schießen. Alles andere wäre ein Kindertraum. Zu dissonantem Piano sieht sich Oona zuletzt als ‚Creep‘ und Weirdo einem engelgleichen Anderen gegenüber, in einer unerträglichen Kluft zwischen Ideal und Wirklichkeit. What the hell am I doing here? I don’t belong here… Ein gnostisches Stoßgebet, auf die kürzeste Formel gebracht.
Oona, die auf E. M. Cioran verweist als denjenigen, der sie zu ihrer Verausgabung ermutigt, widmet die Musik ihren Musen. Unter denen ich Patty Waters und Karen Dalton zu erkennen meine, Nico, Fovea Hex und Niobe, Sidsel Endresen, Eldbjørg Raknes, Jæ, Jessica Sligter… wenn nicht als Musen, dann als Schwestern im Geiste.
Rigobert Dittmann Bad Alchemy Magazin #98 / Mai 2018
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